Positionspapier zu “Open Source” für die EIDG Projektgruppe Interoperabilität, Standards, Open Source
Prof. Dr. Dirk Riehle, M.B.A. / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Open Source ist eine disruptive Innovation in der Softwareindustrie. Sie hat zu neuen Geschäftsmodellen geführt, mit denen Softwareunternehmen schneller und kostengünstiger bessere Software entwickeln und damit etablierte Spieler aushebeln können. Für die wenigen großen deutschen Softwarehersteller (SAP, Software AG), stellt dies erst einmal ein Problem dar, sofern sie nicht angemessen reagieren (was bisher nur zum Teil geschah). Für die deutsche Softwarebranche insgesamt ist dies aber eine positive Entwicklung, da sie neue Chancen eröffnet und den Stärken unserer Industrie und Kultur entgegenkommt.
- Neue Chancen nutzen. Die Softwareproduktindustrie wird von den USA dominiert. Deutschland rangiert unter ferner liefen. Neuartige open-source-basierte Geschäftsmodelle, wie z.B. von dem finnischen Unternehmen MySQL vorgeführt, sind in der Lage, etablierte Spieler auszuhebeln und neuen Unternehmen eine Chance zu geben. Dies eröffnet den Unternehmen der Startup-starken Regionen wie Berlin und München signifikante Überlebens- und Wachstumschancen, wo sie sonst kaum Möglichkeiten hätten, sich am Markt zu etablieren.
- Existierende Stärken nutzen. Deutsche Softwareprodukte sind häufig dort erfolgreich, wo sie in Kombination mit existierenden Hardwarekomponenten auftreten. Siemens, Bosch, etc. sind große Softwareentwickler, ohne dass dies immer gleich offenkundig wird. Hier auf offene Plattformen und gemeinschaftlich entwickelten Open Source zu setzen wird weiteren deutschen mittelständischen Hardwareherstellern die Möglichkeit geben, über die Software die Attraktivität ihrer Produkte zu steigern und Märkte zu erweitern resp. neu zu öffnen. Es ist keinesfalls immer profit-maximierend, wie mitunter dargestellt, die Software losgelöst von der Hardware zu verkaufen. Häufig ist es besser, sog. Entwicklergemeinschaften (z.B. Eclipse Foundation, Apache Software Foundation) zu bilden, welche die Software gemeinschaftlich, kostenreduzierend und qualitätsverbessert entwickelt. Darauf aufbauend können Hersteller dank erhöhter Attraktivität des Gesamtprodukts größeren Umsatz erreichen.
- Fairen Wettbewerb sicherstellen. Offene Standards zur Sicherstellung von Interoperabilität sind wichtig, um zu verhindern, dass dominante Marktteilnehmer kleinere Wettbewerber vom Markt ausschließen. Standards allein reichen allerdings nicht; sie sollten durch Open-Source-Referenzimplementierungen ergänzt werden. Der Grund: Standards existieren nur auf dem Papier, während Open Source einen „harten“ Testfall darstellt. Es ist der Unterschied zwischen „über etwas reden“ und es auch tun. Wenn Markteilnehmer wirklich kooperieren wollen, reichen Standards aus; wenn sie sich aber im Wettbewerb zueinander sehen, werden in Kürze die immer existierenden Lücken in Standards genutzt werden. Eine Open-Source-Referenzimplementierung kann als unparteiischer Schiedsrichter dienen, ob eine Software Standard-kompatibel ist oder nicht.
- Positionsvorteil in Arbeitskräften verankern. Mit zunehmender Kommoditisierung von Software durch Open Source spaltet sich der Arbeitsmarkt für Softwareentwickler in zwei Teile: Jene, die in ökonomisch relevanten Open-Source-Projekten Leitungs- und Entwicklungsfunktionen innehaben, und solchen, welche diese nicht haben. Letztere sind anfällig für Wettbewerb aus Billiglohnländern, während erstere durch ihre Position abgesichert sind und nachweislich höhere Gehälter erhalten. Es gilt im deutschen Softwarearbeitsmarkt die Aneignung entsprechender Projektpositionen zu befördern.
- Öffentliche Verwaltung effizienter machen. Als ehemaliger Leiter der Open-Source-Forschungsgruppe von SAP im Silicon Valley weiß ich, dass manche preis-sensible Märkte nicht mit traditioneller Software erreicht werden können. Kleine und mittlere Städte und Gemeinden können z.B. kaum von SAP bedient werden. Kostenverlagerung und neuartige Arbeitsverteilung mittels Open-Source-Software ermöglicht es, auch diese Märkte zu erreichen. Insbesondere neue Kombinationen von On-demand und Open Source auf Basis von etablierten von deutschen Unternehmen dominierten Plattformen haben hier Chancen neue Märkte zu erschließen. Insbesondere sind hier Nutzervereinigungen (vereinfacht: Einkaufsgemeinschaften) wichtig, welche koordiniert Open-Source-Software in Auftrag geben und somit kostenreduzierend mehr und höherwertige Software erwerben können, um ihren eigenen Betrieb effizienter und effektiver zu machen.
Diese gerade aufgeführten Chancen können insb. von westlichen Kulturen effektiv genutzt werden. Nach 10 Jahren USA habe ich in den letzten Jahren meinen außerdeutschen Schwerpunkt nach China verlagert und kann Ihnen mitteilen, das asiatische Kulturkreise, insb. China, sich sehr viel schwerer in der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit tun—und dies trotz signifikanter Anreize durch die chinesische Regierung, sich zu Entwickler- und Anwendervereinigungen zusammenzuschließen und Open-Source-Software zu entwickeln.
Open Source als kollaborativer Entwicklungsprozess eröffnet signifikante Wachstumschancen für die deutsche Wirtschaft. Diese werden nicht immer und nicht überall verstanden. Auch existierende Informationskampagnen greifen m.E. zu kurz und es gilt sie zu verbessern. […]
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