Erschienen im F.A.Z.-Institut Managementkompass Open Company im Juli 2023.
Offenheit bringt neue Möglichkeiten. Die Open-Source-Bewegung hat viele Türen geöffnet. Open Source hilft Unternehmen nicht nur, Kosten zu reduzieren, sondern ermöglicht es auch, sich gegen Wettbewerb zur Wehr zu setzen. Open Source ermöglicht es Unternehmen, gemeinschaftlich oder allein Märkte abzusichern und sich neue Märkte zu erschließen. Open Source ist mehr als eine Philosophie, Open Source ist eine vielseitig einsetzbare Geschäftsstrategie.
Die erste Berührung mit der Open-Source-Welt geschieht zumeist durch die Nutzung von Open-Source-Software. Reguläre Software wird zu Open-Source-Software, wenn die Lizenz kostenlose uneingeschränkte Nutzung erlaubt, die Software im Quelltext bereitsteht, und modifiziert oder unmodifiziert weitergegeben werden darf. Reine Anwender von Open-Source-Software sollten die Sicherheit der Software im Blick haben, da wie bei aller Software immer wieder Sicherheitslücken bekannt werden. Darüber hinaus können sie sich bei guter Wahl über kostenlose hochwertige Software freuen.
Produkthersteller nutzen nicht nur Open-Source-Software, sondern verbauen diese auch als Komponenten in ihren Produkten. Neben Sicherheit muss dann auch die Open-Source-Lizenz-Compliance sichergestellt werden. Dies ist ein mühsames, aber bewältigbares Problem, hat man einmal definiert, welche Open-Source-Lizenzen akzeptabel sind und wie sie korrekt umgesetzt werden.
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Open-Source-Artefakt vs. Process
Versucht man Open Source über die reine Nutzung hinaus zu verstehen, muss man zwei wesentliche Innovationen der Open-Source-Welt voneinander trennen: Offene Zusammenarbeit (die Projektgemeinden und Ihre Methoden und Werkzeuge) und Open-Source Software (das technische Artefakt als Arbeitsergebnis).
Aus diesen zwei Innovationen der Open-Source-Welt folgt auf der einen Seite Gemeinschafts-Open-Source-Software (“community open source”), welche in offener Zusammenarbeit gemeinschaftlich zwischen Personen und über Unternehmensgrenzen hinweg entwickelt wird, und herstellereigene Open-Source-Software (“single-vendor open source” oder “vendor-owned open source”), welche zwar Software ist, die unter einer Open-Source-Lizenz bereitgestellt wird, deren Entwicklung aber von einem Hersteller allein vorangetrieben wird, der auch niemand anderem ein Mitspracherecht gewährt. Letzteres wird hier nicht weiter betrachtet werden.
Open-Source-Vereinigungen
Gemeinschafts-Open-Source-Software umfasst sowohl traditionelle Open-Source-Software, ohne dahinter stehende Organisation, wie auch Open-Source-Software, die unter der schützenden Hand von Open-Source-Foundations entwickelt wird. Die meiste kommerziell relevante Open-Source-Software steht heute unter der Ägide einer Open-Source-Foundation. Deren Aufgabe ist es nicht nur, die Software rechtlich und organisatorisch abzusichern sowie sie zu bewerben, sondern insbesondere auch ein faires und transparentes Spielfeld für alle interessierten Parteien zu schaffen, so dass diese ohne größere Sorgen um ihre Investition an der Software mitentwickeln können.
Mehr vom Kundenbudget erreichen
Eine wichtige Motivation für Open-Source-Foundations wie die Linux Foundation ist es, die Entwicklung von Open-Source-Software voranzutreiben, welche Monopolisten verhindern oder zumindest in Schach halten soll. Zum Beispiel wurde durch den Aufbau von Linux als Alternative zu Windows, zumindest in Rechenzentren, erfolgreich verhindert, dass Microsoft im Technologiestapel ein Monopol für die Betriebssystemschicht sich erarbeiten konnte. Entsprechend wurde Microsoft’s Anteil an der Geldbörse des Kunden geschmälert und es blieb mehr Umsatz für andere übrig, die komplementäre Schichten im Stapel bedienten.
Open-Source-Komponenten werden nicht nur entwickelt, um Monopolisten zu begegnen. Sie werden auch häufig proaktiv entwickelt, ohne dass es ein Bedrohungsszenario gibt. Unternehmen können Kosten sparen, wenn sie gemeinschaftlich nicht-wettbewerbsdifferenzierende Komponenten entwickeln. Gemeinsam entwickelte und breit genutzte Komponenten standardisieren Software, verbessern die Interoperabilität, und schaffen Freiraum für Innovationen.
Offene Zusammenarbeit und Kommunikation
Offene Zusammenarbeit und Kommunikation ist nicht für alle Unternehmenskulturen und Mitarbeitenden einfach umzusetzen. Offene Zusammenarbeit bedeutet, dass man Gäste als potentielle Freiwillige willkommen heisst (auch wenn diese von der Konkurrenz kommen), dass man Entscheidungen zu Ende diskutiert (und nicht mit der Faust auf den Tisch haut), und dass die Arbeitsprozesse im Einvernehmen aller Beteiligten ausgehandelt werden (und nicht etwa betriebsinternen Prozessen entsprechen müssen). Offene Kommunikation bedeutet, dass alle Kommunikation öffentlich, schriftlich, und vollständig ist sowie archiviert wird.
Offene Zusammenarbeit und offene Kommunikation sind nicht auf die Open-Source-Welt beschränkt. Wikis und Wikipedia sind weitere Beispiele, wie auch andere Formen offener Inhalte. Auch unternehmensintern hat offene Zusammenarbeit Fuß gefasst: Innerhalb der Softwareentwicklung als sogenannter Inner Source und unternehmensweit als offene Unternehmenskultur auf Basis der genannten Prinzipien.
Anwender-geleitete Projekte
Nicht nur Herstellern ist der Wert von Open-Source-Software aufgefallen. Anwenderunternehmen haben schon immer über Vendor Lock-in geklagt. Vendor Lock-in bezeichnet die Abhängigkeit von der Closed-Source-Software eines Anbieters. Vendor Lock-in führt meist zu hohen Preisen, da Anbieter angesichts hoher Wechselkosten gern an der Preisschraube drehen. Vendor Lock-in bremst die Innovationsgeschwindigkeit von Kunden, da diese die Closed-Source-Software nicht einfach modifizieren können und erhöht das Betriebsrisiko, da in der schnelllebigen Softwareindustrie gern einmal Unternehmen pleite gehen, deren Software sich noch in Autos, Zügen, oder Flugzeugen durch die Gegend bewegt. Im Gegensatz dazu kann Open-Source-Software jederzeit und einfach modifiziert werden, um eigene Marktchancen durch die Software wahrzunehmen, und ist in Ihrer Lebenszeit nicht an Hersteller gebunden.
Anwender-geleitete Konsortien
Aus diesen Gründen nehmen Anwender von Software zunehmend ihr Softwareschicksal in eigene Hände und gründen Open-Source-Foundations zur Entwicklung von Open-Source-Software, welche sie für ihren Betrieb benötigen. In den U.S.A. wurde die Academy Software Foundation (ASWF) von Hollywood Filmstudios gegründet: Sie entwickelt Open-Source-Anwendungen zur Erstellung von Filmen. Die ASWF lässt somit traditionelle Closed-Source-Software links liegen. In Deutschland wurde die Open-Logistics-Foundation (OLF) von deutschen Logistikunternehmen gegründet: Sie entwickelt Open-Source-Software zum Betrieb von Logistikunternehmen. Dies reicht vom einfachen (aber zuvor schwer zu standardisierendem) elektronischen Frachtbrief bis hin zu neuen innovativen Anwendungen z.B. in der Blockchain. Voraussetzung für solche Gemeinschaftsarbeit ist wiederum ein klares Verständnis, was wettbewerbsdifferenzierend ist und was nicht, und ein gute Governance-Struktur der Open-Source-Foundation, etwaige Konflikte aufzulösen.
Wettbewerbsvorteil auf Landesebene
Obwohl die Open-Source-Welt global agiert und keine Grenzen kennt, bedeutet dies nicht, dass Lokalität ohne Vorteil ist. Sowohl die Hollywood Filmstudios und ihre ASWF wie auch die deutschen Logistiker und ihre OLF haben kurze Wege zueinander, kennen ihre Probleme wie die der Konkurrenz, und sind der Lokalität wegen sozial miteinander vertraut. Eine solche örtliche wie soziale Nähe erhöht die Innovationsgeschwindigkeit und reduziert Reibungsverluste in der Kommunikation und im Aufbau von Kompetenzen, insb. wenn der nächste Job nicht weit entfernt ist. Entsprechend ergibt sich ein Standortvorteil und ein Wettbewerbsvorteil auf Landesebene da, wo Unternehmen in der Lage sind, das Kriegsbeil zu begraben und zusammenzuarbeiten. Letzteres ist nicht breit verstanden und es wäre wünschenswert, wenn der deutsche Staat die Gründung von Deutschland-zentrierten Anwender-Foundations zwecks Stärkung der deutschen Wirtschaft mehr unterstützen würde.
Über den Autor
Dirk Riehle ist Infomatik-Professor an der Universität Erlangen. Er ist weiterhin Geschäftsführer der Bayave GmbH. Prof. Riehle’s Arbeit unterstützt den Erfolg von Unternehmen durch Software. Sein Fokus ist dabei Open Source, Inner Source, und Produktstrategie. Vor der Ernennung zum Professor hat Prof. Riehle die Open-Source-Forschungsgruppe in den SAP Labs, Palo Alto, Kalifornien (Silicon Valley) geleitet. Er hat weiterhin für Software-Startups und Großunternehmen gearbeitet, und zwar in Boston, MA, und Zürich, Schweiz, in den Rollen Softwareentwickler, Softwarearchitekt, und Entwicklungsleiter. Prof. Riehle erwarb einen Doktortitel an der ETH Zürich und einen M.B.A. an der Stanford Graduate School of Business. Er freut sich über Email an dirk@riehle.org und betreibt ein Blog auf https://dirkriehle.com.